WIE DER WIDERSTAND MÖGLICH WURDE


Kärntner Partisanen unter der Arichwand - foto: družinski arhiv Prušnik.

Dr. Mirko Messner:
Notizen zu einer Ausnahmeerscheinung

Viele haben in Österreich Widerstand gegen die Nazis geleistet, haben das mit ihrem Leben bezahlt - unabhängig von ihrer Weltanschauung oder parteipolitischen Zugehörigkeit, ob der Arbeiterbewegung zugehörig oder dem bürgerlichen Lager. So gibt es in der Barbara-Kapelle im Wiener Stephansdom eine von Alfred Hrdlicka gestaltetete Skulptur der 1998 selig gesprochenen Ordensfrau Sr. Restituta, geb. Helene Kafka, die von den Nazis am 30. März 1943 gemeinsam mit neun kommunistischen Straßenbahnern wegen „Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat“ hingerichtet wurde. Solche Beispiele von humanem Opfermut und kompromissloser antifaschistischer Gesinnung gibt es viele, in allen Bundesländern. Spricht man jedoch von politisch organisiertem Widerstand in Österreich, stechen zwei Gruppierungen hervor, die seinen Kern bilden: die in der Kommunistischen Partei Organisierten einerseits und die Slowenische Befreiungsfront (Osvobodilna fronta) in Kärnten andererseits. Letzere war eine in ihrer Form einzigartige bewaffnete Widerstandsbewegung innerhalb der Grenzen des „Großdeutschen Reiches“. Warum, so kann man sich angesichts der hier beschrieben Gedenkstätten für hunderte Opfer und im Widerstand Gefallene fragen, hat sie sich ausgerechnet in diesem südlichsten Zipfel des Hitlerreiches, im Rahmen einer nationalen Minderheit entwickeln können, deren politische Führung zu jener Zeit alles andere war als revolutionär oder kämpferisch veranlagt? - Dazu im Folgenden vier Anmerkungen.

Der stille Widerstand davor

Die Kärntner Slowenen und Sloweninnen hatten sich nicht erst während der Nazizeit mit Deutschnationalismus auseinanderzusetzen. Sie „kannten“ diesen schon seit mehreren Generationen. Als Keuschler und Bauern, als Land- und Industriearbeiter waren sie nicht nur sozialem Druck ausgesetzt, sondern in vielfältiger Form auch nationalem oder sprachlichem. Die Kärntner Sozialdemokratie war dafür blind, denn sie segelte unter deutschnationaler Flagge und hatte die slowenische Arbeiterschaft mit im Boot. Angehörige der slowenischen Mittelschicht lernten durch Jahrzehnte hindurch am eigenen Körper die Regel kennen, dass sozialer Aufstieg in erster Linie durch sprachliche und politische, nationale Assimilation möglich war. Ein eigenes selbstbewusstes und slowenisches, liberal orientiertes Bürgertum konnte sich so nur in schwachen Ansätzen entwickeln. Die slowenische politische Führung in Klagenfurt - mehr oder weniger katholisch- konservativ, bisweilen auch klerikal gesinnt - war kaisertreu bzw. später dem Ständestaat bis zur Selbstaufgabe verpflichtet. So blieb im slowenischen kulturell engagierten Bevölkerungsteil der Widerstand gegen den von der Landespolitik gestützten Deutschnationalismus eine „stille“ Widerstandshaltung.
Karel Prušnik-Gašper beschreibt in seinen Memoiren die Situation in der Zwischenkriegszeit so: „Die slowenischen Bauern waren großteils im ‚Politischen und wirtschaftlichen Verein‘ organisiert, lasen den ‚Koroški Slovenec‘, doch von einer festen politischen Vereinigung konnte keine Rede sein. Der Zentralausschuss dieses Vereins in Klagenfurt arbeitete nur über seine Vertrauensmänner; Gemeinde- oder Ortsgruppen gab es überhaupt nicht. Und obwohl chauvinistische Lehrer slowenische Kinder diskriminierten und germanisierten, obwohl die Kärntner Slowenen tagtäglich wirtschaftlich und politisch unterdrückt wurden, hatte er nur allgemeine und papierne Proteste übrig.“
In dieser Situation keimte in der Zwischenkriegszeit innerhalb der slowenischen Bevölkerung ein neuer kultureller und politischer Faktor: eine kaum sichtbare slowenische Linke, bestehend aus Arbeitern, Keuschlern und Kleinbauern. Sie wurde von der Führung der Kärntner slowenischen Führung ignoriert und angefeindet, weil sie dem Klerikalismus der slowenischen politischen Führung ebenso ablehnend gegenüberstand wie dem Deutschnationalismus der österreichischen Sozialdemokratie, und weil sie mit dem Kommunismus sympathisierte und Beziehungen hatte sowohl zu österreichischen als auch zu jugoslawischen kommunistischen Funktionären bzw. deren Parteien. Sie sollten in weiterer Folge ermöglichen, dass die „stille Widerstandshaltung“ in den slowenischen kulturellen Netzwerken zu einer Kraftquelle der Widerstandbewegung wurde.


Massaker beim Peršman - foto: Spurensuche. Erzählte Geschichte der Kärntner Slowenen. 1990, Wien, Österreichischer Bundesverlag.

Das Ende des Abwartens

Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland, und vor der von den Nazis verschriebenen Volksabstimmung wurde im „Koroški Slovenec“ ein von Dr. Franc Petek und Dr. Joško Tischler unterzeichneter Aufruf der slowenischen politischen Führung veröffentlicht, in dem es unter anderem heißt: „Der Führer und Kanzler Adolf Hitler hat für den 10. April d. J. eine Volksabstimmung ausgeschrieben. Auch wir sind aufgerufen darüber abzustimmen, ob wir uns zum Führer Adolf Hitler und damit zu der am 13. März vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit Deutschland bekennen. / Wir stimmen geschlossen mit Ja!“
Es wäre falsch, diesen Aufruf als den Ausdruck einer Übereinstimmung mit den Zielen des Nationalsozialismus zu interpretieren; dieser wurde von der slowenischen Führung in austrofaschistischen Zeiten sehr wohl  als existenzielle Bedrohung angesehen. Was sich in diesem Aufruf ausdrückt, ist die Absicht, die slowenische Gemeinde mittels Loyalitätsbekundung aus der „Schusslinie“ zu bringen, sich also auf das „Abwarten“ zu verlegen und die Entwicklung der Dinge möglichst unbeschadet zu überstehen. Genährt wurde diese Haltung auch von der Hoffnung, die außenpolitischen Rücksichten NS-Deutschlands könnten die nun zu nazistischen gewordenen deutschnationalen Landesstrukturen bremsen. Tatsächlich kann bis zum Überfall der Wehrmacht auf Jugoslawien von einer Periode der relativen Zurückhaltung gesprochen werden. Danach, ab April 1941, also nach dem Überfall auf Jugoslawien, war es nicht mehr so. Das regionalstrategische Ziel der Nazis - die Germanisierung Sloweniens, einschließlich Südkärntens, unter Einbindung der Eindeutschungswilligen sowie mittels Eliminierung der slowenischen nationalen Intelligenz und aller, die der Germanisierung Widerstand entgegensetzten - wurde nun systematisch umgesetzt. Der allseitigen Verdrängung der slowenischen Sprache sollte die Beseitigung jener Teile der slowenischen Bevölkerung aus Südkärnten folgen, die der Germanisierungspolitik im Wege standen. Als dann im April 1942 über tausend Angehörige Kärntner slowenischer Familien innerhalb kürzester Zeit ins Reich deportiert wurden, änderte sich die Lage innerhalb der slowenischen Gemeinde dramatisch. Die von der Kärntner slowenischen Führung vor Kriegsausbruch verbreiteten Illusionen über die Möglichkeit des Überlebens unter dem Naziregime durch Abwarten wurden von den realen Ereignissen Lügen gestraft bzw. lösten sich auf.
Der slowenische Geistliche Kristo Srienc erinnert sich: „In der Befreiungsfront sahen wir [die slowenischen Geistlichen] unseren Befreier, der gekommen war, um das eingeschüchterte Volk vor dem Tod zu retten, dem wir alle schon geweiht waren.“ Waren es mit Kriegsbeginn zunächst die Deserteure aus der deutschen Wehrmacht gewesen, die sich in den Südkärntner Wäldern versteckten, in das noch unbesetzte Jugoslawien flohen oder Kontakt zu den jugoslawischen Partisanen suchten, wurde nun von der gesteigerten Repression der Partisanenkampf in dieser Region angestoßen.


Partisanen bewachen den Herzogstuhl - foto: Koroška v borbi. 1951, Celovec.

Das Soziale im Nationalen

Mit dem Überfall auf Jugoslawien und der de-facto Eingliederung Nordsloweniens in das Reichsgebiet (das restliche Slowenien wurden zwischen Italien und Ungarn aufgeteilt) verschwand die Karawankengrenze. Am 18. November 1941 wurde Friedrich Rainer NSDAP-Gauleiter von Kärnten, übernahm die Funktion des Landeshauptmanns, und am 11. November 1941 wurde er von Hitler zum Reichsstatthalter und Chef der Zivilverwaltung (CdZ) der besetzten Gebiete Kärntens und Oberkrains ernannt. Aber bereits am 26. April 1941 war in Slowenien von der schon seit Jahren in die Illegalität gedrängten Kommunistischen Partei Sloweniens und anderen linksorientierten Organisationen die Osvobodilna fronta (OF), das heißt Befreiungsfront, gegründet worden. Diese nahm nun Verbindung auf zu Südkärntner Widerstandsbereiten, womit der jugoslawische Volksbefreiungskampf ins Reichsgebiet auszustrahlen begann - und mit ihm die auf das gesamte slowenisch besiedelte Gebiet ausgerichtete antifaschistische Strategie der slowenischen KP bzw. der OF.
An dieser Stelle sei zitiert, wie sich Lipej Kolenik, Bauernsohn und selbst antifaschistischer Aktivist und Widerstandskämpfer, diesbezüglich erinnert: „Der Bataillonskommissar Janko Kastelic und seine Stellvertreter Franjo Primožič-Danilo und Adalbert Vodivnik-Mišo sorgten (...) für unser politisches Erwachen. Sie erklärten uns, was die Abkürzungen AVNOJ, SKOJ, NKOJ, OF, SNOS, ZK, NOV, POS bedeuteten und wer die Vorsitzenden dieser Einrichtungen oder Organisationen waren, sie erzählten uns über Tito u. a. Als völlig Unwissende verschlangen wir sitzend oder stehend all diese politischen Neuheiten und versuchten sie zu verstehen. In diesen politischen und militärischen Stunden wurde auch darüber gesprochen, wie in der Freiheit die Macht verteilt sein würde, dass wir selbst über unser Schicksal entscheiden würden, dass es dann alle Unterdrückten dieser Welt besser haben würden, dass das slowenische Volk zum ersten Mal in der Geschichte vereinigt sein und seine Regierung haben würde, dass wir nicht mehr unterdrückt sein würden, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis wir den Okkupator vertrieben hätten und frei atmen könnten. Sie brachten uns auch Haltung bei, militärische Gangart und auch, wie wir uns benehmen würden, wenn wir als Sieger von den Hügeln in die Täler, Dörfer und Städte zurückkehren, wenn wir die Macht und die Führung in unsere Hände nehmen würden. (...) Wir glaubten an das alles, und nur hie und da kamen mir die Gedanken, ob wir das Glück haben würden, den Krieg zu überleben, um wieder nach Hause, zu unseren Eltern, Brüdern, Schwestern, Mädeln und zu all diesen guten Leuten, die uns unterstützen, gehen zu können. Die Hoffnung hielt uns aufrecht, dass wir den Krieg überleben und alle Ankündigungen und Träume sich erfüllen würden.“
Diese sozial-revolutionäre Perspektive, je nach persönlicher Biographie natürlich unterschiedlich stark ausgeprägt, verschmolz mit dem Kampf ums physische und kulturelle Überleben, bildete seine Spezifik, lud ihn politisch und emotional auf. Das zu übersehen hieße, ein wesentliches Charakteristikum des slowenischen antifaschistischen Kampfes in Kärnten zu übersehen.
Es geht dabei nicht vordergründig um die „Linie“ der KP Sloweniens, die für den inneren Kreis sicher ihre Bedeutung hatte und die als Ziel die Vereinigung aller besetzten, slowenisch besiedelten Territorien hatte; es geht um das Ineinanderfließen der Empörung gegen nationale Vernichtung mit der Empörung gegen soziale Unterdrückung, getragen von Keuschlern, Bauern, Arbeitern, Knechten und Mägden, Waldarbeitern, Dienstmädchen usw. - sie erlebten als Kämpfende oder Aktivisten und Aktivistinnen sowohl die Möglichkeit, als Angehörige der slowenischen Nationalität der deutschnationalen Anmaßung, als auch als Angehörige der inferioren Klasse der sozialen Missachtung eine Gegenmacht entgegenzusetzen; und als Menschen, die weltanschaulich zu einem großen Teil einen christlichen Hintergrund hatten. Möglich geworden war dies eben durch die revolutionär gesinnten Kärntner slowenischen Akteure und Akteurinnen, die ihre Rolle als „Synapse“ zur Übertragung der Impulse der slowenischen Volksbefreiungsbewegung bzw. der Befreiungsfront im ehemaligen Jugoslawien erfüllten.


Partisanen und Pfarrer Feinig in Maria Saal (nach 1945) - foto: Muzej novejše zgodovine, Ljubljana.

Die Frauen und die Jugend

Die Partisanenbewegung in Kärnten band bis Kriegsende deutsche Soldaten vor Ort. Die Kämpfenden wurden entsprechend den militärisch-operativen Anforderungen auch in anderen Regionen außerhalb Südkärntens eingesetzt. So wie in Kärnten hunderte von ihnen fielen, aber auch Angehörige anderer Nationen, so fielen Kärntner Slowenen und Sloweninnen als Angehörige der jugoslawischen Partisanenarmee auch außerhalb Südkärntens. Oft wird der antifaschistische Widerstand mit dem Kampf der Partisaninnen und Partisanen gleichgesetzt. Das ist zu kurz gegriffen. Denn das Rückgrat vor Ort wurde vom Netzwerk der Befreiungsfront gebildet; dieses wiederum wurde in großem Maße von Jugendlichen und von Frauen getragen; ihre Männer oder Verwandten waren entweder in die deutsche Wehrmacht eingezogen worden oder hatten sich bereits den Partisanen angeschlossen. Die Frauen hatten die Schlüsselrolle in den Ausschüssen der Befreiungsfront, gründeten mitten im Krieg auch ihre Frauenorganisation. Von der Dichte der Ausschüsse war die Aktionsfähigkeit der Partisaneneinheiten unmittelbar abhängig.
Die Frauen und die Jugendlichen waren es in erster Linie, die Sanitätsmaterial sammelten, Kurierdienste verrichteten, Meetings und Sitzungen vorbereiteten und durchführten, Verbindungen knüpften, Informationen, Lebensmittel und Kleidung besorgten - und sich damit in Lebensgefahr begaben, wie aus den traurigen Listen der Opfer und Gefallenen zu ersehen ist.
Zusammenfas send: Die Generationen übergreifende Erfahrung mit dem Kärntner Deutschnationalismus und die ebenso lange andauernde, anfangs „stille“ Widerstandshaltung; die Herausbildung von Ansätzen der kommunistischen Linken innerhalb der slowenischen Gemeinde; der mit dem Überfall auf Jugoslawien und der Deportation der slowenischen Familien offen gewordene Naziterror; die politische und administrative Einbeziehung von Teilen Sloweniens in die Grenzen des „Großdeutschen Reiches“ sowie das Verschwinden der Karawankengrenze; die Ausstrahlung des jugoslawischen Volksbefreiungskampfes nach Kärnten; das breite, vor allem von Jugendlichen und Frauen getragene Netzwerk als Rückgrat des Partisanenwiderstands - das alles und mehr trug dazu bei, dass es in Südkärnten zum bestorganisierten militärischen, sprich bewaffneten Widerstandskampf im Rahmen des Reichsgebiets kam. Dies alles angesichts der vielen antifaschistischen Erinnerungsstätten in dieser Region mitzudenken, wird dem Gedenken der im Widerstand  efallenen und der Opfer des Nationalsozialismus sowie den persönlichen Schicksalen, die durchlebt und durchlitten wurden, wohl am besten gerecht.

Verfasst unter teilweiser Verwendung des Textes „Die Befreier. Zur Konstruktion des Bildes der Partisanen und Partisaninnen in der slowenisch-kärntnerischen Öffentlichkeit.“ In: Florian Wenninger, Paul Dvořak, Katharina Kuffner (Hg.): Geschichte macht Herrschaft. Zur Politik mit dem Vergangenen. Wien 2007, S. 275-299.


Partisanen in Kärnten; Mai 1945- foto: Slavko Smolej

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